„Ein Tag in Finfinne (Addis Abeba)“
Während der Vorbereitungstreffen für unsere Reise, welche dazu dienten, uns in der Gruppe kennen zu lernen, Ideen zu sammeln und unser Reiseprogramm zu planen, trat neben die Weiterführung und Vertiefung jener Schwerpunkte, welche sich in der langjährigen Zusammenarbeit und Partnerschaft schon entwickelt hatten (Gemeinde- und Schulpartnerschaft, Aids Waisen – Projekt , Unterstützung von Berufsausbildung, Podokoniose – Projekt, Baumpflanzprojekt…) ein weiterer, neu zu entdeckender Themenbereich in unser Blickfeld.
Unser Wunsch war es, Einblicke in den Kunst- und Kulturbereich Äthiopiens zu bekommen und möglichst auch künstlerisch tätige Menschen persönlich zu treffen.
Dank der vielseitigen Verbindungen und Kontakte, welche inzwischen nach Äthiopien entstanden und gewachsen sind (und die sich naturgegeben bisher bei Pfarrer Menthel bündeln), konnten wir für die Umsetzung dieser Idee auf einen sehr kompetenten Ansprechpartner in Addis Abeba zurückgreifen, welcher uns ein umfangreiches Tagesprogramm organisierte und uns persönlich begleitete und führte.
Wir lernten Dr. Person dann als einen sehr vielschichtig interessierten, kosmopolitischen Menschen mit holländischen Wurzeln kennen. Er ist Religionswissenschaftler, lehrt Kunsttheorie und Ästhetik an der Kunst – Hochschule in Addis Abeba, unterstützt junge äthiopische Künstler und hat großes Interesse an internationaler Vernetzung, sowohl für seine Studenten als auch für sich selbst.
Der erste Programmpunkt für den Tag war der Besuch der Kunsthochschule und wir waren gespannt darauf zu erfahren, unter welchen Bedingungen junge Künstler in Äthiopien studieren und wie sich ihr künstlerisches Schaffen ausdrückt.
Nach der Fahrt von unserer Unterkunft in eine fast schon dörfliche Gegend von Addis fanden wir ein großes Areal mit modernen, mehrstöckigen Gebäuden und einem sehr weitläufigen und stimmungsvollen Skulpturengarten in dessen hinterem Bereich Studenten in einer Mensa mit offener Kochstelle zusammen saßen.
Es war vorbereitet, dass wir einige der hellen und großzügigen Ateliers, welche von je vier Studenten genutzt werden, besichtigen konnten. Die Studenten (und auch einige Studentinnen) erwarteten uns, präsentierten ihre Werke und wir tauschten uns über unsere Eindrücke und auch über Persönliches aus. Wir sahen ein sehr breites Spektrum an künstlerischem Schaffen: von Skulptur und Plastik über Mosaik, Gestaltung mit Naturmaterialien bis hin zur Malerei im weitesten Sinne.
Motive und Techniken waren sowohl klassisch, gegenständlich, traditionell als auch modern, abstrakt, experimentell. Wir betrachteten Bilder, die in der Auseinandersetzung mit der traditionellen christlich orthodoxen Ikonenmalerei entstanden sind. Wir ließen beeindruckende Portraits auf uns wirken. Wir sahen Collagen, in denen dörfliche Szenen mit verschiedenfarbigen Erden und Naturmaterialien nachgebildet waren. Wir bewunderten farbenfrohe, großflächige Mosaikwände und ausdrucksvolle Skulpturen. Wir schmunzelten über lustige Installationen und genossen das besondere Flair, welches durch eine kreative und schöpferische Atmosphäre entsteht.
Auch das gehört zu Äthiopien – neben Aids, Dürre, Hunger und Armut gibt es diese kraftvolle, gestaltende Seite. Schön, dass wir diesen Einblick in einen weiteren Bereich des gesellschaftlichen Lebens nehmen konnten. Diese Erfahrung bereichert unser Bild von Äthiopien und wir haben einen direkten Eindruck von der völkerverbindenden Dimensionen und Kraft der Kunst bekommen. Künstlerisch – schöpferische Gestaltungsprozesse und deren Ergebnisse folgen überall auf der Welt ähnlichen Gesetzmäßigkeiten. Daraus können auch für uns ganz persönlich neue Ansatzpunkte für Begegnung und Austausch und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erwachsen; im Sinne des Mottos: “Afrika vom Krisen – zum Chancenkontinent“.
Der nächste Programmpunkt an diesem Tag war die Besichtigung eines Museums über die Geschichte der orthodoxen äthiopischen Kirche. Unsere kleine Gruppe, verstärkt durch Dr. Person und einen jungen äthiopischen Künstler, wurde von einem Mönch durch die Ausstellung geführt. Es wurden metergroße Gemälde gezeigt, auf denen die Ereignisse der Kirchengeschichte abgebildet waren. Weiterhin gab es einige Fotos mit wichtigen Würdenträgern und viele Gegenstände und Artefakte zu sehen. Während unsere Aufnahmefähigkeit für die Ausführungen des Mönchs doch relativ begrenzt war, war besonders der junge äthiopische Künstler die ganze Zeit sehr interessiert bei der Sache. Im Laufe unserer Reise sollten wir dann noch häufiger die Beobachtung machen, dass die äthiopischen Menschen, und gerade auch die jungen Leute, sehr stark (und viel intensiver als wir?) mit ihrem Glauben und der Religion verbunden zu sein scheinen, dass Religiosität identitätsstiftend und wirklich im Alltagsleben verankert ist. Danach lud Dr. Person unsere Gruppe in sein Haus ein. Das war für uns alle ein ganz besonderes kulturelles Erlebnis.
Die Bauweise und Ausstattung der Häuser ist in keiner Weise mit unserem gewohnten westlichen Standard zu vergleichen. Es war erstaunlich und beeindruckend, wie selbstverständlich sich der Doktor mit diesen einfachen Bedingungen arrangiert und sein eigenes bezauberndes Reich geschaffen hatte. Durch das Tor tretend kamen wir in einen kleinen, mit allerlei Skulpturen und Pflanzen geschmückten Garten. Im Haus selbst empfing uns ein museales Ambiente. An jedem freien Platz standen und hingen traditionelle Kunstgegenstände, vorrangig aus dem religiösen Kontext: eine Sammlung orthodoxer Kreuze, Ikonen, kunstgewerbliche Gegenstände, alte, verzierte Schemel und Stühle und auch Bilder des jungen Künstlers der dort mit wohnte. Wie wurden mit Brot, Knabbereien und Getränken bewirtet, lernten einen hinzu geladenen jungen orthodoxen Mönch kennen und konnten den Tönen eines traditionellen Saiteninstrumentes lauschen. Zum Ausklang dieses intensiven Tages erlebten wird dann noch unsere erste traditionelle Kaffeezeremonie dieser Reise. Dafür wurden wir in einen besonderen Raum des Hauses geführt. Auch dieser ‚Zeremonienraum‘ war mit vielen Kunstgegenständen und Teppichen geschmückt, es gab eine offene Feuerstelle, auf welcher der Kaffee geröstet und gekocht wurde und sehr viele unterschiedliche, zum Teil historische, Sitzmöbel. Der intensive Kaffeeduft erfüllte den schummrigen Raum und wir genossen das starke, süße und belebende Getränk aus kleinen Tassen.
Die herzliche Gastfreundschaft und Bewirtung und vor allem die Tatsache, dass Dr. Person so viel Zeit, Gedanken und Mühe für uns investiert hatte, waren fast überwältigend und eine tiefe Dankbarkeit für diese besonderen Eindrücke erfüllte uns. Dr. Person gewährte uns einen kurzen Einblick in sein Leben und es war ein Lehrstück zu sehen, wie sich ein engagierter und aktiver Mensch jenseits von Entwicklungshilfe und NGO’S mit seinem Wissen und Wollen in eine andere Kultur einbringen und anpassen und sie zu seiner eigenen Sache machen kann, wieder im Sinne des Mottos: „Afrika vom Krisen – zum Chancenkontinent.
Christine Polze-Frischkorn